Seit Februar 2022, seit dem Beginn des aktuellen russischen Kriegs gegen die Ukraine hat es dieses Christuswort aus der Bergpredigt wieder einmal besonders schwer. In der medialen Auseinandersetzung, in Diskussionen mit Freund:innen oder im Gespräch auf der Arbeit ist das Ziel der Feindesliebe oft nicht gern gehört. Zuweilen will die Mehrheit jetzt aber endlich auch noch vom letzten Pazifisten das Eingeständnis hören, dass alles außer militärischer Unterstützung moralisch verdorben sei.
Dabei fordert Jesus keineswegs das passive Erdulden des Aggressors, sondern vielmehr – und viel schwerer wohl – die aktive Zuwendung an diesen. Nicht weil man sich nicht traut zu kämpfen, nicht weil man die Taten der Angreifenden passiv hinnehmen soll oder man moralisch unangreifbar sein will – nein, er ist sich sicher, dass die Feindesliebe der bessere Weg ist. Der erfolgversprechendere Weg, einen Konflikt dauerhaft zu beenden, dauerhaften Frieden zu schaffen.
Auch der Vorwurf, dass man sich die Feindesliebe ja nur im sicheren Drittland leisten könne, überzeugt wenig, denn die Forderung nach militärischer Verteidigung ist mindestens ebenso wohlfeil, wenn man sie vom heimischen Sofa stellt und nicht selber im Schützengraben steht, die Toten auf beiden Seiten nur anonyme Zahlen bleiben und nicht die Namen des eigenen Bruders, Sohns oder der Tochter tragen.
Jesus fordert uns auf zur Liebe, d.h. es ist ihm bewusst, dass diese Forderung noch nicht erfüllt ist – aber er glaubt, dass sie verwirklicht werden kann, dass das Reich Gottes mit seinem und unserem Handeln in dieser Welt bereits begonnen hat. Feindesliebe ist für ihn also keine jenseitige Vision, sondern ist genau jetzt während der Krieg tobt notwendig. Auch wenn vermeintliche Lösungsangebote noch so attraktiv erscheinen – der Weg zu echtem Frieden geht nur über Versöhnung, über Liebe zum Feind.
Foto: www.banksy.co.uk